Am Freitag, 30. Juni wurde der Rekurs der Lobby per Post beim Kantonalen Baurekursgericht eingereicht. Der Rekurs richtet sich primär gegen die Bewilligung der Uetiker Baukommission für die Überschüttung der Schadstoffe im See mit Kies. Er beanstandet unter anderem, dass der Variantenentscheid des AWEL betreffend Seegrundsanierung auf teils unhaltbaren Annahmen und zu wenig Fakten basiert und dass die beantragte Projektänderung sowie das durchgeführte Bewilligungsverfahren rechtlich fragwürdig sind.
Rekurs der Lobby hier
Erläuterungen zu 3.3.1.4 der Rekursschrift;
RADIOAKTIVITÄT
1 Warum sind radioaktive Stoffe in der Altlast?
2 Konzentration von Uran
3 Konzentration von Radium
4 Uran und Radium als NORM deklariert
5 Probleme mit dem radioaktiven Material
6 Ist die Bezeichnung NORM korrekt?
7 Vergleich natürliche / industrielle radioaktive Stoffe im Seegrund
8 Wann wurde die Altlast radioaktiv?
9 Primärliteratur, verfügbar ETH Bibliothek und „Library Genesis“
10 Meine Erfahrung mit auf Überschüttung gewachsenen Pflanzen
11 Rotholz: warum kann es noch nicht als saniert gelten?
12 Anmerkungen
1 Wie kam Uran und Radium in die Altlast?
Es können zwei «Generationen» von Altlasten unterschieden werden: Die älteste, oft dickste Schicht geht auf die Herstellung von Schwefelsäure zurück. Aus Pyrit (Schwefelkies) wurde Schwefel gewonnen. Der Abfall, sogenannter Pyrit-Abbrand, wurde zur Gewinnung von Bauland vor der Fabrik aufgeschüttet. Dass der Pyrit-Abbrand eine Reihe von Giften enthielt, war den ersten Generationen Schnorf wohl noch unbekannt.. später wusste man aber: in den Aufschüttungen ist neben Arsen, Blei, et cetera auch Thallium enthalten, ein starkes Rattengift.
DIESE Altlast ist Baugrund unter grossen Bereichen des Areals!
Die zweite Generation Abfall resultierte hauptsächlich aus der Herstellung von Phosphorsäure und Dünger: Das aus Marokko importierte Rohphosphat- Gestein enthielt ursprünglich 600 bis 3000 Becquerel Uran pro Kilogramm (Bq/kg, siehe Anmerkung). Das Uran war im Gleichgewicht mit all seinen 14 radioaktiven Zerfallsprodukten, inklusive Radium, mit schliesslich stabilem Blei am Ende der Zerfallskette. Alles sicher im Muttergestein eingeschlossen, biologisch nicht verfügbar. Dieses Gestein wurde zermahlen, in Schwefelsäure aufgelöst und weiterverarbeitet.
2 Bei der Verarbeitung zu Dünger zB Superphosphat reicherte sich der Urangehalt bis auf 4000 Bq/kg an, weil zwischen Phosphor und Uran eine hohe chemische Anziehungskraft besteht. (Chemische Konzentrierung, nicht zu verwechseln mit der Isotopen-Anreicherung zum Bombenbau).
3 Neben Dünger wurde aus marokkanischem Rohphosphat auch Phosphorsäure hergestellt, dabei fiel radiumhaltiges Calciumsulfat an, auch Phosphogips genannt. Zunächst konnte das Calciumsulfat, das noch mit Phosphaten verunreinigt war und intern «Supergips» genannt wurde, der Landwirtschaft als schwacher Dünger verkauft werden.
Mit zunehmender Produktionsmenge konnte auch der Supergips nicht mehr verwertet werden, er wurde auf Anordnung des AWEL in Deponien eingelagert, auch gegen den Willen der örtlichen Behörde und der Bevölkerung. (Kühtobel Egg, 1971) Die entstehenden Umweltprobleme wurden allerdings zunächst unterschätzt: Die Phosphate wurden ausgewaschen und gelangten in die öffentlichen Gewässer.
Auch im Phosphogips, Supergips, wird radioaktives Material konzentriert, nämlich hochtoxisches Radium, bis zu 5000 Bq/kg.
4 Trotz der Konzentrierung von Uran und Radium in den Hauptprodukten und in den Abfallströmen der Chemie Uetikon CU, profitieren CU, Zeochem und AWEL von einer Neufassung der Strahlenschutzverordnung im Jahre 2018. Sie erklären den im Seegrund liegenden radioaktiven Abfall zu «NORM», englisch für «Naturally Occurring Radioactive Material». (Ist die Ähnlichkeit mit «normal» rein zufällig?)
Das AWEL schrieb in den Submissionsunterlagen, das zu beseitigende Material werde natürliches Uran enthalten, aber hauptsächlich in Konzentrationen von unter 1000 Bq/kg. Solches Material würde sich als «NORM» unproblematisch «entsorgen» lassen. Das AWEL schrieb weiter, die Radium-Konzentrationen («Radioaktivität») würde den Uran-Konzentrationen folgen; obwohl bekannt war dass dies NICHT der Fall ist.
5 Das führte zu unvorhergesehenen Problemen da Radium und seine Zerfallsprodukte, im Gegensatz zu Uran mit seinen unmittelbaren Zerfallsprodukten, sehr energiereiche durchdringende Gammastrahlen aussenden. Überdies zerfällt Radium in das problematische radioaktive Gas Radon. (RZ 150) Die Lagerung und «Entsorgung» von Radium ist sehr anspruchsvoll. (RZ 151 bis 153)
Aus Erfahrungen bei der Sanierung Rotholz war intern bekannt, dass die «Entsorgung» problematisch werden könnte, erschwerend kam dazu, dass die Umgangsbewilligung des BAG nur für Natur-Uran ausgestellt worden war; Export nicht erlaubt.
Der Zugang zu zwei Dokumenten welche hier eventuell mehr Klarheit schaffen könnten, wird vom AWEL verzögert und erschwert: „Da eine Anhörung der ARGE Marti im Sinne von $ 26 Abs. 1 IDG nötig war, wird die Bearbeitung des Gesuchs noch etwas Zeit beanspruchen. Wir sind momentan mit der Redaktion des Entscheids beschäftigt. Zudem teilen wir lhnen bereits zum jetzigen Zeitpunkt mit, dass für die Bearbeitung des Gesuchs Gebühren in Höhe von einigen hundert Franken anfallen werden.“
6 Es ist nicht abschliessend gerichtlich geklärt, ob Uran und Radium auch als «NORM» bezeichnet werden dürfen, wenn sie in hohen Konzentrationen und nicht im natürlichen Gleichgewicht vorliegen. (Wie zB in einer Mineraliensammlung oder in einem Stück Uranerz) Ob die neue Strahlenschutzverordnung in dieser Hinsicht dem Strahlenschutzgesetz genügt, ist eine interessante Frage, aber in diesem Rekurs kein Thema.
In den USA werden die Abfallprodukte der Phosphordünger-Industrie laut der Umweltschutzbehörde EPA nicht als NORM bezeichnet, sondern als «TENORM». (technisch konzentriertes natürlich radioaktives Material) Das beschreibt die Situation der radioaktiven Stoffe in unserer Altlast!
7 Um die hohen Radium-und Urankonzentrationen in der Altlast besser zu verstehen: Der natürliche Untergrundpegel an Uran und Radium in rezenten Zürichsee-Sedimenten beträgt ca. 15 Bq/kg. Gemäss Analysen des Paul Scherrer Instituts (PSI) vom Jahre 2012 wurde die höchste Radium-Konzentration von 750 Bq/kg im obersten Meter der Probe ZH 88 gemessen; unmittelbar vor den neu geplanten Terrassen mit Seezugang.
Man müsste hier also nicht sehr tief abtragen um bereits eine hohe Wirkung zu erzielen. Nun soll dieser hochproblematische Teil der Altlast aber durch Überschüttung «unschädlich gemacht» werden. Man schafft sich so eine Neulast!
Die Uran-Konzentrationen in den Ufernahen Zonen sind relativ gut bekannt, es existieren viele Messwerte. Hingegen wurden nur wenige Bohrkerne auf Radium analysiert. Das AWEL war der fragwürdigen Annahme, dass das Uran im Gleichgewicht mit seinen Zerfallsprodukten (zB Radium) vorliegen würde. (RZ 149) Das ist aber nur beim unverarbeiteten Rohphosphat aus Marokko der Fall! Dieses enthält im Gegensatz zu Phosphat anderer Herkunft relativ viel Uran und seine radioaktiven Folgeprodukte. Im Seegrund hingegen korrelieren die Uran- und Radium-Konzentrationen nicht; MARTI war von falschen Voraussetzungen ausgegangen. (RZ 151).
8 Wünschenswert wäre die Bestimmung des Alters der giftigen Schichten! Es gibt Marker in den Sediment-Schichten, wie zb Atombomben-Fallout und den Cs137- Fallout von Tschernobyl, eventuell hat auch Fukushima einen Marker hinterlassen. Es gibt wohl auch andere nicht-radioaktive Marker.
Dann könnte man wahrscheinlich in Erfahrung bringen, wann der letzte Eintrag von radiumhaltigen Abfällen erfolgte…
(Als ich dem Awel die Untersuchung eines Bohrkernes mit Autoradiografie anbot, schlug mir strikte Ablehnung entgegen.)
9a Literaturauszug, übersetzt
„Mine wastes characterization, treatment and environmental impacts
Lottermoser, Bernd G. Berlin: Springer, 2010“:
„Phosphogips wird in den meisten Fällen direkt neben den Produktionsanlagen für Phosphordünger gelagert (Lottermoser, 2010). Wie erwähnt treten potentielle Umweltschäden meistens in der Umgebung der Minen und Produktionsstätten auf. Phosphogips enthält oft Schwermetalle und radioaktive Elemente. Für die Gefahr von Umweltschäden ist besonders zentral, dass verschiedene Schwermetalle und Radionuklide im Phosphogips mobiler als in Gesteinsform sind. Ausserdem sind sie im Gegensatz zur Gesteinsform oft an organische Komplexe gebunden. Dadurch können diese Stoffe einfach ausgewaschen werden und sind überdies bioverfügbar, wodurch sie von Lebewesen aufgenommen werden können“.
9b R. Pérez-López, : Changes in mobility of toxic elements during the production of phosphoric acid in the fertilizer industry of Huelva (SW Spain) and environmental impact of phosphogypsum wastes.
10 Dazu eine persönliche Erfahrung: in der Expertengruppe von Greenpeace international war ich als 2004 frisch ausgebildeter Strahlenschutz-Sachverständiger in oben erwähntem HUELVA.
Dort ist eine der weltgrössten chemischen Fabriken welche auch Dünger herstellte. Eine riesige Deponie von Phosphogips ist mit einer Überdeckung von einem Meter Ton «gesichert»; darauf wachsen Pflanzen.
Eine dieser Pflanzen hatte ich mitgenommen und analysiert: Die Pflanze war radioaktiv geworden! Sie hatte Blei 210 und Radium 226 durch die Überdeckung hindurch aus dem Deponiekörper geholt.
Pb210: 135+-26Bq/kg, Ra226: 73+-5Bq/kg
11 Der Gemeinderat hatte nach einem Spendenaufruf die Lobby diffamiert und stellte mehrere unzutreffende Behauptungen auf, eine davon: «Die ehemalige Deponie „Rotholz“, auf dem Gemeindegebiet Meilen, ist vollständig saniert worden.»
Tatsache ist: Das am höchsten kontaminierte Erdmaterial der landseitigen Deponie wurde zwar entfernt, aber von den gesamt 24’000 Tonnen des Aushubes sind immer noch 10’000 Tonnen an einem unbekannten Ort zwischengelagert, weil auch dem AWEL unklar ist, wohin damit.
Zitat AWEL:
«Das bei der Sanierung Rotholz angefallene Aushubmaterial wurde entsprechend der Belastung verschiedenen Entsorgungswegen zugeführt. Insgesamt fielen rund 24’080 Tonnen Material zur Entsorgung an.
• 1570 t Thermische Verwertung
• 3160 t Deponie Typ B
• 4550 t Deponie Typ E
• 4800 t Untertagedeponie Ausland
• 10’000 t genehmigtes Zwischenlager, Entsorgung in Abklärung»
Seit letztem Dezember ist mir das AWEL eine Antwort nach dem Gehalt an Radium und Uran der obengenannten Chargen schuldig. Das AWEL verwies ans BAG:
«Gerne bestätigen wir Ihre Anfrage. Da uns die verlangten, vollständigen Informationen aktuell nicht vorliegen, werden wir diese vom Bewilligungsinhaber der Sanierungsarbeiten (KIBAG) einfordern. Sobald uns die verlangten Resultate der Aktivitätsbestimmungen vorliegen, werden wir Ihnen diese zustellen, vorausgesetzt dass der Inhaber der Weitergabe zustimmt. Falls diese Zustimmung nicht vorbehaltlos erteilt wird, müssen wir den Bewilligungsinhaber vorerst darüber informieren, dass wir ihn ansonsten im Rahmen des BGÖ-Verfahrens anhören werden und er sich dort über die Herausgabe der Information äussern kann.»
Diese im Rahmen von Einsichtsgesuchen ungewöhnlich mühsame und langwierige Beschaffung von Daten bekräftigt den Anfangsverdacht vom letzten September, dass die Sanierungs-Probleme und das Abändern der Methode mit den radioaktiven Stoffen in der Altlast zusammenhängen könnten.
Es ist vor diesem Hintergrund leichtfertig bzw irreführend vom Gemeinderat, zu behaupten die Deponie Rotholz sei vollständig saniert.
Ein Teil der «Sanierung» ist vorerst nur eine Umlagerung der Giftstoffe. Immerhin aber sind die Giftstoffe auf dem Trockenen!
Der Seegrund vor der ehemaligen Deponie Rotholz ist hingegen noch nicht saniert, – und warum schliesslich der schmale Landstreifen zwischen der ehemaligen Deponie und dem zur Sanierung ausgezonten Seegrund NICHT saniert werden muss, ist unverständlich: Wie soll denn das Gift in den See geraten sein?
12 Anmerkungen:
Die Einheit Becquerel, abgekürzt Bq, ist die Mass-Einheit für die Aktivität an Kernumwandlungen (Zerfälle) eines Stoffes. Die natürliche Aktivität an Radium226 im See-Sediment beträgt 15Bq pro Kilogramm: 15Bq/kg.
Das heisst: jede Sekunde zerfallen in einem Kilogramm rezentem Sediment 15 Ra226 Atomkerne zu Radon 222, welche dann nach weiteren Kern-Umwandlungen zu stabilem Blei 206 werden. Nach 1600 Jahren würden im selben Kilogramm immer noch sieben bis acht Radium-Kernzerfälle pro Sekunde stattfinden.
Könnte man die Aktivität von 15 Umwandlungen pro Sekunde hören, würde das einer Frequenz von 15 Hertz entsprechen. Das wäre ein unhörbar tiefes Knattern.
Ein Kilogramm Seesediment aus der Probe ZH11-88 mit 750 Bq/kg Radium, erhoben unmittelbar vor dem geplanten Seezugang, könnte man mit 750Hz pfeifen hören. Ein Fis, fünf Oktaven höher!
Darum sollte man aus der Altlast keine Neulast machen, sondern sie soweit möglich entfernen.
Am Besten, solange „Zeochem“ existiert.
Uetikon, 13. Juli Marco Bähler